[Wo das Meer stillsteht 2,9]

Nachbarn V

unser fleisch mauerte die fensterbank
aus der flamme      wir sehen zu, wie ein holzklotz feuer fängt
wie ein aufgerolltes handgelenk
zerrt      zittert      plötzlich wildtierkrallen ausfährt

flamme und flamme in einem spiegel geschmiedet
lassen alles, was tief in quecksilber versunken
vom blick auskratzen      wir stehen außerhalb unserer fenster

schnitz aus ein gesicht mit einem meißel des nichtseins
scharf geschliffenes gesicht      sich erhebende zunge in einer gemeißelten vase
so wie der klang des windes sich in der kehle vervielfacht      packt eine unart
den dichter      wie eine verbrauchte nachgeburt      von einem gedicht abgestoßen wird

die roten eisenpforten der erde sind unserem ohr immer schetternd verschlossen
grabsteine      berühmter als wir
üppiges leichengelage
die an beiden seiten eines jahrhunderts enthüllten augen sind zwillinge
sind sie außer sich      schreiben sie nichts nieder
werden nur dann aus dem geschnitzt, was in unseren herzen starb

nur dann führen sie selbstgespräche      nur dann fürchten sie die kälte
ergreifen die karten mit flammen- und wildtierkrallen      eine spielkarte
trennt zwei wunden      die sich anschauen      uns

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Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

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