[Wo das Meer stillsteht 2,18]

Gefängnisinsel

das licht baut seinen tempel säule um säule
das licht graviert wörter in das träge braune gestein und liest am ufer des meeres
der mai ist ein hotelbett
der morgen reitet einen hellblauen, an träumen klebenden körper
den man im dunkeln geweckt
das breite blatt des meeres balanciert auf einem weinglas
ein tag geleitet dich in ein körnchen lebendigen kristalls

die inseln, die du nie erreicht
und die du nie verlassen

der pechschwarze sturm ist ein segelschiff
immer noch beklagen sich die gefangenen tränenreich in der brandung – heimwehkrank
stellen sich einen pflug vor, von ihren körpern gezogen
stellen sich körper wie körperlose vögel vor
wenn du ausgetrunken bist, kommt die flut
und achtest dein leben lang auf das versiegen deines ozeans

sickert unbarmherzig in deinen körper

das weiße maipferd sickert in die trunkenheit
galoppiert um dich herum und öffnet den grünen aufstieg und fall der haut
augen, die über gefängnisinseln hinausschauen, sind selber gefängnisse
das licht peinigt einen tunnel am grunde des meeres
hohles inselchen, dich bläht von innen
schmerz – ist unlöschbare lampe
noch mehr schmerz – das meer schießt hinter dem morgen hervor
noch ein tag schießt tief hinab in eine fatale richtung

das ende ist lang und mühselig
das ende selbst hat keins

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Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

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Eine Antwort zu

  1. TheSource sagt:

    Das vierte Mal blieb (nicht nur) Auge hier hängen….

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