[Wo das Meer stillsteht 2,13]

Trüber sommer

wenn’s dem grün      an kraft mangelt, sich tiefer in die haut des patienten zu saugen
dann ist der sommer notwendigerweise trübe

jeder regentropfen ist bereits fünfmal gefallen
der schwere sumpf auf dem dach zehnmal gewellt und angehoben
die felder      eine matratze ohne wäscheleinen zum trocknen
trockengelegt in deinen gedanken
die in die kiefernnadeln eingravierte geduld kehrt licht unendlich um
es wütet der tote, weil er keine risse im schlamm finden kann

im trüben sommer      bist du genug geschwächt
einen letzten sturm zu erfinden

samen zu splittern und den glasbaum im samen
eier zu splittern und den im gedärm bewahrten schrei
doch worte lassen sich nicht splittern      jedes wort
ein hölzerner haken aus fleisch und blut
ein irriger himmel hundertmal ausgegraben aus einem fötus

stimmt      dieser sommer ist dein sommer
auf dem roten bahnsteig gibt’s nur eine erklärung für das, was unsterblich
der rostige zug darf nicht ankommen
du wirst tausendmal belagert von der luft, welche die toten ausgeatmet
lungen      ein bunt glänzender fluß
der nicht fließt      keine luftlöcher im gestein aus fleisch
jede geschichte endete zweitausendmal

dort, wo du hinstarrst      dort      tränen      wieder

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Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare

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