schwimm nicht zu weit hinaus
hörst du?
das wassser ist kalt
hörst du?
hände werden dich ergreifen
hörst du?
dich fortziehen, wer weiß wohin
hörst du?
dorthin wo ungeheuer lauern
hörst du?
an den strand von keinland
hörst du?
ersaufen wirst du
hörst du?
dich aufblähen
hörst du?
wie eine totgefahrene katze
hörst du?
am straßenrand
hörst du?
schwimm nicht zu weit hinaus
bleib auf dem rechten weg
(bin ich jetzt zuweilen
auch noch rotkäppchen???)
Hai. Als ich ein Kind war, schwamm ich an der Adria immer so weit hinaus, dass mich die Fischer oder die Küstenwache wieder auffischen mussten – aufgestachelt von meinen vor Sorge kranken Tanten bzw. meiner Mutter. Ich wollte so gern einen Hai sehen. Als dann wirklich eine Rückenflosse auftauchte, war ich schon älter… und vom „Haie-sind-bös-schwimm-nicht-hinaus“ vergiftet….
meine haie im kopf
die manchmal wollen
daß ich mich von ihnen
fressen lasse
dann träum‘ ich das meer
das ende der welt
land’s end
und je mehr ich mich
dem meer nähere
desto weiter fort
schwimmen die haie
und wenn ich dann
vor dem meer stehe
will mich niemand
mehr fressen
dann fress‘ ich mich selbst
und verdaue mich selbst
im mund der fahle
nachgeschmack meiner selbst
es schmeckt grau
.. Der Körper des Hais
winzige Widerhäkchen benetzen seine Haut
zwingen das Wasser in die Ergonomie
der Stille am Ende der Nahrungskette
Pescecane Ein kleiner Abschnitt aus meinen „Geschichten vom Monsieur H.“
Monsieur H. ist ein alter Mann, behauptet er. Ich beschwichtige ihn und zähle all die Eigenschaften auf, die ihn unsterblich machen, es gefällt ihm, wenn ich ihm widerspreche. Dann werden seine grün-blau-grauen Augen ganz blau und er fängt an, von seiner Vergangenheit zu erzählen. Ich höre, wie Monsieur H. im Meer schwimmt und die Haie streichelt, er liebt diese Tiere und nähert sich ihnen ohne Angst. Wie er unter Wasser taucht, über sich die Korona der Sonnenstrahlen, die sich im Wasser brechen, zwischen Korallen, umgeben von bunten Fischschwärmen. Monsieur H. taucht also und nähert sich seinen Lieblingen, den schwarzen Haien, die träge im Sand liegen, die so satt sind, weil ihnen das Futter ins Maul schwimmt und sie im Liegen nur danach schnappen müssen. Sie ruhen im hellen Sand, suchen sich die sonnenbeschienenen Fleckchen unter Wasser und schmiegen ihre Körper in den körnigen Untergrund. Dann legt sich Monsieur H. dazu und streichelt sanft ihre Rücken. Schillernd steigen Luftblasen auf und ich vergesse, dass Monsieur H. nur eine Taucherbrille mit Schnorchel trägt. Er ruht zeitlos neben den Geschöpfen.
t.
ich beneide Monsieur H., weil er es verstanden hat, die haifische in sich zu zähmen
Monsieur H. ist ein in vieler Hinsicht beneidenswerter Mensch, man vergisst aber allzu leicht, dass auch diese Leichtigkeit, die ihn umgibt, Ergebnis dunkelster Lebensstunden ist.
>>
Monsieur H. besucht mich immer Abends auf ein Stündchen. Er wandert gern durch Wiesen im untergehenden Sonnenschein und überlegt sich dabei Geschichten, die er mir erzählen kann. Man weiß bei Monsieur H. nie, wieviel von ihm selbst in seinen Geschichten steckt. Manchmal blitzt etwas auf, das an ihn erinnert, aber er zwirbelt listig den Geschichtsfaden auf, so dass am Ende nur Verwirrung übrig bleibt. Frage ich ihn dann nach dem Wahrheitsgehalt, dann lacht er sein Koboldslachen und behauptet Dinge wie „Ich ist ein anderer, wirklich!“. Ich glaube, dass er einst einer der Gefährten des Odysseus war, der blinde Passagier vielleicht, oder der Bootsjunge, von dem in der Sage nie erzählt wird. All die Fahrten hat er mitgemacht, alle Abenteuer bestanden. Aber als Odysseus nach Ithaka zurückkehrte, hat er Abschied genommen und ist weitergereist. Die Zauberin Kirke flößte ihm dereinst als Einzigem einen Trank ein. Der ihn trinkt, wird ein Phönix, ein immer wieder Geborener. Und so reist er noch heute umher. Vielleicht ist Monsieur H. ein wenig müde geworden, weil er alles gesehen hat. Vielleicht hat er Odysseus um seine Penelope beneidet. Aber Monsieur H. würde nie auf Wanderschaft gehen, wenn er eine Penelope gefunden hätte. Er, der die Welt gesehen hat, würde das Innere betrachten wollen.
daß seiner leichtigkeit solches zugrundeliegt, setzte ich fast schon voraus. die frage ist: welches innere und wessen inneres? ich vergaß: der blinde passagier denkt sich immer etwas aus, zum beispiel eine reise… es ist, als befände er sich auf dem schiff…
Mit halboffenem Auge bemerke ich leise: Ich will die Haifische gar nicht zahm.
Und auch keine Rose ohne Dornen.
Dem pflichte ich bei, TheSource, was Sie beschreiben, ist Künstlichkeit. Rosen ohne Dornen, Trauben ohne Kerne, Abenteuer ohne Gefahr, Liebe ohne Hass, Atem ohne Atemlosigkeit.
*
Parallalie, Sie legen den Finger exakt auf die Stelle im Text, die mir noch Kopfzerbrechen bereitet. Das Innere… ich muss das umformulieren. Oder genauer ausführen. Wobei ich gestehe, dass ich es liebe, in einem Satz oder Wort Welten einzufangen. Abseits dessen aber kann ich Ihnen zu Monsieur H. und der Innerlichkeit folgendes sagen:
Monsieur ist ein weitgereister und weiser Mensch. Vielleicht auch durch die Zeiten gereist, wer weiß… Es umgibt ihn eine seltsame Aura. Er erzählte mir wohl von der einen oder anderen Person, die von größerer Wichtigkeit in seinem Leben war, aber es schien mir nie so zu sein, als ob auch nur eine dieser Personen, Frau oder Mann, jemals bewirkt hätten, dass H. dieser Person zuliebe bei ihr geblieben wäre. Immer voller Unrast. Keine Bindungen. Erst jetzt, im Alter, bewohnt er seit nunmehr einigen Jahren ein kleines Domizil, das wohl seine letzte Heimstatt sein wird.
(Und das Innere, werden Sie fragen, wo bleibt nun das Innere?) Ich meine, dass Monsieur immer das gelebt hat, was für ihn am wichtigsten war, nämlich seine Reisen, die Welt, das All, das Weite, die Wüsten und die Regenwälder, er hat die ganze Welt bereist. Aber hätte er auch nur einen Menschen gefunden, der ihm dies alles hätte sein können, wäre er geblieben, ich glaube und weiß das. Und er hätte das „Innere“ dieses Menschen als ebenso spannend zu erforschen betrachtet, wie die Welt, die er bis dahin bereiste. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob jemals ein Mensch mit Welt gleichgesetzt werden kann. Aber vielleicht ist diese Frage an sich auch falsch gestellt. Vielleicht vergleiche ich hier etwas, was unvergleichlich ist und einzigartig, jedes auf seine Weise.
*
Nach etlichen Besuchen seinerseits darf ich auch einmal Monsieur H.s Behausung aufsuchen. Ich wandere nun meinerseits durch Wiesen und über Stege und überquere schließlich die hölzerne Brücke, die Monsieur H. an eine der venezianischen Steinbrücken erinnert, die er so oft in jener Stadt überquerte. Und wirklich: die Brücke führt wie ein schwebender Bogen über den Fluss.
Monsieur H. lebt in einem weißen Haus mit Giebeldach. Er selbst bewohnt aber nur die Mansarde und man steigt zwei Treppen hoch zu seiner Tür, über blank gebohnertes PVC, unter dem sich knarrende Dielen verbergen. Noch während ich den letzten Treppenabsatz erklimme, öffnet mir Monsieur H. die Tür. Er trägt ein weißes Batisttuch um seine Hüften geschlungen und fängt sofort an, von seinem Ägyptenbesuch zu erzählen, wo er dieses Tuch vor vielen Jahren erstand. Während er mir voran in den Korridor geht, bemerke ich das Weiß seiner Haut, das sich kaum von der Farbe des Tuchs unterscheidet. Der Rücken ist übersät mit braunen Flecken, die Haut schält sich ein wenig an den Schultern. „Sie sind wohl lange nicht mehr in der Sonne gewesen, Monsieur“, frage ich. Er lächelt und führt mich in einen großen Raum, dessen Höhe ein wenig erstaunt angesichts der Tatsache, dass die Wohung sich unter dem Dach befindet.
Monsieur H. besitzt ein indisches Kastenbett. Aus dunklem Holz, mit Intarsien und filigranen Durchbrüchen. Über dem Kastenbett ist ein Himmel aus durchsichtigem Leinen gespannt. Dieses Bett steht inmitten von Büchern. Die Wände verbergen sich hinter Regalen. Die Bücher und ihre Autoren sind nach Ländern sortiert, erklärt mir Monsieur H., während er auf seinem Bett Platz nimmt. Er schlägt die Beine übereinander und nimmt sich ein Heft von einem großen Stapel Zeitschriften. „Sirene“ lese ich auf dem obersten Heft. Daneben liegt ein Kompass auf einem weiteren Stapel von Sirenen. Durch das Tuch dringt mattes Schattenlicht von der Nordseite des Hauses.
Ein Mensch nimmt sich mit, wenn er wandert. Doch ebenso geht er hierbei aus sich heraus, wird um Flur, Wald, Berg reicher. Auch lernt er, buchstäblich, wieder kennen, was Verirren und was Weg ist, und das Haus, das ihn am Ende empfängt, wirkt keineswegs selbstverständlich, sondern als erreicht.
Ernst BLOCH, Tübinger Einleitung in die Philosophie