[Wo das Meer stillsteht 2,15]
Fröstelndes portrait
kälte kommt in jeder jahreszeit wie die wand hinter dir
kiefern enthalten immer einen schneetag
die flamme im herd kann so grün werden, daß sie schwarz wird
wenn feuer wirklich wird kann die kälte sich nicht verstecken
du hast angst um so mehr ähnelst
du dem, der immer mit dir verwechselt wird
wenn jemand anders dich unterbringt, riechst du nach medizin
im schal, den der himmel überwacht, gibt es nur regnerische nächte
portraits gehen durch die tür aber du hängst
an der wand ein gemaltes gesicht lerntest du erst nach dem tode fürchten
auch das sonnenlicht wird verwechselt es ähnelt nur dem licht
fingert im reglosen wind so wie finger, die geringfügig zucken
auch ein spiegel ist wie ein verrückter
ein weißäugiger schwachsinn ein ozean, der sich nie an toten fisch erinnert
wie der winter dir dick ins auge spuckt
wenn der körper friert ist lächeln ein müder rock
lügen nur dann wieder ausgesprochen, wenn sie dich wärmen
lassen die kälte bis zu den knochen dringen grausam wie dieses portrait
kälte ist eine metapher angst vor kälte eine andere
jahrhundertealter vogel, der anderswo schreit
bild eines braunen ohrs, abgefroren vom kopf einer leiche
gräßlich wie dein eigenes
taub genug, um erkannt oder gemalt zu werden
[Wo das Meer stillsteht 2,14] <<>> [Wo das Meer stillsteht 2,16]
Text nach YANG LIAN, Dove si ferma il mare