Auf dem Weg nach Montecastrilli sah ich Ihn heute gleich neben dem „Golosauro“ (immer dienstags und freitags im nächstgelegenen Dorf gegenüber der Abzweigung zum Dorfkern: Spanferkel, Wurst und Käse) an der Straße stehen. Allerdings bemerkte Ihn erst ein zweites Hinsehen, denn ich mußte warten, bis das Auto vor mir ins Dorf abbog. Aufgefallen war mir nämlich zunächst nur das bunte Durcheinander der schwebenden Ballons, die sich im Näherkommen als aufgeblasene Menschenfiguren mit stramm abstehenden Armen und Beinen erwiesen. Als ich dann Zeit hatte, einen Blick auf den Ballonverkäufer zu werfen, erkannte ich Ihn natürlich sofort trotz seiner winterlichen Vermummungen. So ein impertinentes und gleichzeitig undefinierbares Gesicht hat sonst keiner. Das scheinbar Amorphe seiner Physiognomie scheint wie geschaffen, dem Betrachter stets sein eigenes Selbst ad absurdum zu führen. Er hob kurz das Kinn zum Zeichen, daß auch Er mich erkannt hatte, und ich bedeutete ihm mit einem Kreisen des Zeigefingers, daß ich in Kürze wieder vorbeikommen würde, Er also warten solle.
Ich machte mich endlich wieder auf den Weg, nachdem mein Vordermann mindestens fünf Autos hatte vorbeilassen müssen, bevor er abbog. Erst mal zur Tankstelle: zehn Euro Benzin fürs Nötigste. Dann nach Montecastrilli: auch dort, um Kraftstoff zu besorgen – im Billig-Supermarkt. Sonne beschien die Felder und ließ in der Ferne das schneebedeckte Massiv des Terminillo in einem matten Glanz leuchten, der sich zuweilen über gewisse Träume breitet, in denen mehr Wahrheit als Traum gaukelt.
Wieder beim „Golosauro“ angelangt, lenkte ich das Auto an den Straßenrand und stieg aus, um die Straße in Richtung Ballonverkäufer zu überqueren, der tatsächlich auf mich gewartet hatte, denn sein Kinn hob sich diesmal etwas lebhafter, auch ließ Er seine anthropomorphen Ballons am Arm kurz in die Höhe schnellen.
Ich: Was denn, verkaufst du jetzt aufgeblasene Menschen? Übrigens: ein gutes neues Jahr!
Er: Danke gleichfalls, Monsieur! Aufgeblasene Menschen? Wasserleichen!
Ich: Hübsch bunt die Wasserleichen!
Er: Nun gut, ich verkaufe das ins neue überschwappende vergangene Jahr.
Ich: Verstehe. Nicht sehr pietätvoll!
Er: Ach, Scheiß auf die Pietät! Es verbindet sich immer alles zu einem Ganzen, das Angenehme und das Unangenehme. Das Gute und das Böse.
Ich: Hat schon jemand einen Ballon gekauft?
Er: Ja, die einsam wandelnde Frau, die gigantische Meteoriten ankündigt.
Ich: Die mit der komischen Handtasche am Arm, die scheinbar ziellos durch die Gegend läuft?
Er: Exactement.
Ich: Leider fand ich gestern nur das Fragment einer neuen Warnung an die Menschheit, aber ich glaube, sie sprach von „Gotteslästerung“.
Er: Abgesehen davon: Sieh doch einmal die Farben der Ballons. Es sind die Fraben der olympischen Ringe. Auch das gehört zum vergangenen Jahr.
Ich: Wasserleichen aller Länder vereinigt Euch!
Er: So ungefähr. Außerdem schweben sie an meiner Hand. Das heißt, ich bin der Herr über ihr Schicksal.
Ich: Du meinst, du kannst sie gen Himmel schicken?
Er: Richtig.
An dieser Stelle kramte er in seinen Taschen und zog einen langen Faden hervor, an dessen einem Ende eine schwere Krampe festgebunden war.
Ich sah Ihn stirnrunzelnd an.
Er: Verdienen will ich sowieso nichts an dem Ballonverkauf. Soll ja nur das vergangene Jahr versinnbildlichen. Wenn ich also den Faden mit der Krampe hochschnellen lasse, dann macht irgendein Ballon „plopp!“ und hin ist er. Also wer explodiert, der explodiert.
Sie wandte das Gesicht, während sie mechanisch die Waffe hob. Sie konnte nicht mehr rechtzeitig schießen. Urgos Kopf zeigte einen Moment lang das Profil. An seiner Stelle der Tropfen Speichel. Die Poren offen, überhitzt. Dann platzte er: und das dumpf zischende Dröhnen. Laurie fiel auf den Rücken, betäubt von der Gewalt der Explosion.
Juan ABREU: Garbageland (nach der ital. Übersetzung)