Ungaretti übersetzen

Beim Verlinken von Ungaretti für litlinks, stieß ich auf folgende Übersetzung des Gedichts „Soldati“:

Man ist wie
im Herbst
auf den Bäumen
die Blätter

Erschienen im P. Kirchheim Verlag, in Band 1 der einzigen vollständigen Ungaretti-Übersetzung (insgesamt 4 Bände). Die Übersetzer heißen Angelika Baader und Michael von Killisch-Horn.
Im Original:

Si sta come
d’autunno
sugli alberi
le foglie

Zwar unpersönliches Fürwort dieses „si“, aber mit dem Subjekt man lese ich fast ein „Man ißt“! was? die Blätter?

Fragt man jemanden auf italienisch, wie es ihm geht, dann fragt man: „come stai?“ Ist wohl kein „Wie bist du?“, möchte ich meinen.

Also wohl besser:

Es geht einem
wie im Herbst
auf den Bäumen
den Blättern

Bin sowieso völlig vergratzt über diese Leseproben. Ein anderes Beispiel:

ECHO

Barfuß hindurch aus Mondwüsten
heitere Liebe, bevölkerst du
Mit einem Echo das verbannte Universum und läßt
Im Fleisch der Tage,
Immerwährende Spur, eine verhüllte Wunde.

Original:

ECO

Scalza varcando da sabbie lunari,
Aurora, amore festoso, d’un eco
Popoli l’esule universo e lasci
Nella carne dei giorni,
Perenne scia, una piaga velata.

Wo bitte, ist die Aurora geblieben????

Auch die anderen Lesebeispiele sind einfach nur platt! Einfach nur Zeile für Zeile abgehakt… oder wie klingt dieses:

„Kehrt sich zu überwältigen die Morgenröte zurück“… Zurück wohin? Nein, sie kehrt ja doch wohl zumindest wieder. Sich zu überwältigen? Nein, „a rapirsi“, sich zu entführen. Aber auch ein figürliches „sich entzücken“!!! Also „sich wieder entzückend Aurora“ oder so ähnlich. Jedenfalls ist der Vers kurz im italienischen: „torna a rapirsi Aurora“.

Vier Bände insgesamt, pro Band 50 Euro. Lieber das Geld sparen und selber machen.

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6 Antworten zu Ungaretti übersetzen

  1. Ich übersetze, unter Silbenwahrung, s o: Wir fallen
    wie im Herbst
    von den Bäumen
    die Blätter

    So kommt man um das häßliche „man“ herum und muß auch nicht germanisiert und etwas zu kitschig „es geht uns wie“ oder, ebenfalls stelzig, „es geht einem wie“ schreiben; das von Ungaretti angespielte „fallen“/“Gefallene“ („cadere“/“caduti“) bekommt jetzt die Kraft über direkte Nennung. – So meine Überlegung dazu.)

  2. xefo sagt:

    Meine (heutige) Ungaretti-Variation: die Bäume
    verlassend
    wie Blätter
    im Fallen

    (FranzSchiel)

  3. Prunier sagt:

    Vegleichende Dichtung Die Analogie Blätter/ Manschen, die leben und sterben, ist ein Klischee. Ungarettis Form ist aber sehr erstaunlich, deswegen sollte nicht aufs Fallen direkt angedeutet werden.
    Borges hat einmal behauptet, das Französische sei unbetont und darum habe es den musikalischsten Dichter (!) hervorgebracht: Paul Verlaine. In seiner Jugend hat Ungaretti Verlaine zweifellos gelesen. In seinem Herbstlied (1866) wagt es Verlaine, dreisilbige oder viersilbige Verse zu benutzen. Dieses Herbstlied ist von allen Franzosen seit hundert Jahren und mehr noch auswendig gelernt worden. Es besteht aus drei Strophen; die letzte lautet:
    Et je m’en vais
    Au vent mauvais
    Qui m’emporte
    Deça delà
    Pareil à la
    Feuille morte.
    Versuch einer wortwörtlichen Übersetzung (abscheulich!)
    Und ich gehe hin
    Im bösen Wind
    Der mich treibt
    Hin und her
    Genauso wie das
    Tote Blatt.
    Interessant sind nicht die Ähnlichkeiten mit Ungaretti, die Unterschiede sind viel interssanter. Die Knappheit, das Nichtgesagte von Ungaretti lässt den Wind des ersten Weltkriegs jetzt wehen. Nur noch ein Skelett (!) von dem geölten Gedicht Verlaines.

    Eine letzte Bemerkung: die erste Strophe von Verlaines Herbstlied
    Les sanglots longs
    Des violons
    De l’automne
    (Die langen Seufzer
    Der Geigen
    Vom Herbst)
    ist als Kassiber von der BBC am 4. Juni 1944 in französischer Sprache übertragen worden, um die französischen Widerstandskämpfer zu informieren, dass die Landung der Alliierten am nächsten Tag stattfinden sollte. Ein Herbstlied im Juni ! Nicht so schlecht gedacht: die tausenden Soldaten, die dabei den Tod fanden. (lange Seufzer waren in Vorbereitung…)

    • parallalie sagt:

      ungaretti schrieb das seine auch im sommer… und ich frage mich, ob es nicht auch gedichte gibt, die beschreiben, wie in vietnam die wälder entlaubt wurden!
      diese parallelen haben eine gewisse relevanz, scheint mir (ich erwähnte ja auch rilkes herbstgedicht mit einem ähnlichen „hin und her“ in einem meiner kommentare bei ANH): wir können scheinbar nicht sagen: gleich schießen sie mich tot… oder doch?
      das nicht gesagte öffnet zumindest einen tröstlichen raum, in dem wir das wort abstellen können: dort tut es uns nicht ganz so weh.
      die langen seufzer
      herbstlicher
      geigen

      Patrouille

      Die Steine feinden
      Fenster grinst Verrat
      Äste würgen
      Berge Sträucher blättern raschlig
      Gellen
      Tod.

      August STRAMM

      gellen und doch wieder nicht: angst schleicht wie zeit:

  4. Pingback: III, 449 – Laon IV – Auf dem Weg, Empfang in der Mairie | Die Dschungel. Anderswelt.

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