Irrereien

Die Texte lenken von sich selbst ab. Vom Impuls, der zum Schreiben führt. Die Texte sind der Irrweg, der aus ihnen herausführt, nachdem das Schreiben ihn angelegt hat, weil es nicht sagen wollte, wie das Denken in die Irre ging, die dennoch keine ist. In diese scheinbare Irre verliert sich der Gedanke, der sich in Worte zu fassen sucht. Er müßte sonst schreiben von einem An- und dessen Fortdenken. Aber dieses aktuelle An- und Fortdenken hüte ich merkwürdigerweise wie ein Wertvolles, dessen Preis ein Nichts ist, das dennoch keinem Gegenwert entspricht. Niemand weiß etwas davon. Außer mir in diesem Moment. Im Grunde eine Achtung, die dem Irrweg entgegengebracht wird, dessen Ziel sich nur Schritt für Schritt offenbart.
Es geht der Figur noch übler als dem Leser, der sich immerhin mit Kommentaren behelfen kann; sie weiß selbst dann, als sie ihm längst entronnen ist und unendlich viel dazugelernt hat, nichts von dem Wald; „wie er gewesen, wäre schwer zu sagen“. Und anstatt in Panther, Löwe und Wölfin, die im Wald knurrend auf sie zulaufen, bloße Sinnbilder von Lust, Hochmut und Habgier zu sehen, fürchtet sie, selbst in der Erinnerung an sie, diese wilden Tiere. Sie befindet sich in einem „forêt des symboles“ (Baudelaire) und zittert doch vor ihnen. Aber hätte sie, wenn es anders wäre, irgendeinen Grund weiterzugehen? Das Movens der Commedia ist, dass Dante Dante nicht versteht.
Stefan Ripplinger, Die stammelnde Sirene. Dante, in: Auch. Aufsätze zur Literatur, Basel/Weil am Rhein 2006

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3 Antworten zu Irrereien

  1. walhalladada sagt:

    Mich erinnert das (’schuldigung‘) an Hegel, der sinngemäß gesagt hat:
    ‚Das Geheimnis der alten Ägypter war für diese selber eines‘.
    Das ‚Sich-selbst-Nichtverstehen‘ als Movens ist wirkungsmächtig!

  2. sumuze sagt:

    Schöner, finde ich, und so viel klarer sagte es vor langer Zeit der Herr Johann Georg Hamann (ich glaube, jetzt fast vor gut 220 Jahren) in einem Brief:
    „Ich bin in keinem einzigen Fach zu Hause, weder zum Gelehrten noch zum Geschäftsmann bestimmt, weiß nirgends Bescheid – ein wahrer Maulaffe, dem große Gesellschaft und klösterliche Einsamkeit unerträglich sind – kann keine Zeile noch Brief in Versen nicht einmal in Prosa schreiben. Nichts bleibt mir übrig als mich der mütterl. Vorsehung in die Arme zu werfen.“ (an Jacobi)

    Wenn das keine Bewegung wäre, dieses Werfen, und das kein Movens, dieses Maulaff‘ sein!

  3. parallalie sagt:

    aus demselben aufsatz:
    „Auf Sprache lässt sich nichts errichten, sie bietet keinen stabilen Grund. Denn je fester einer die Wörter in den Blick nimmt desto brüchiger müssen sie erscheinen. Wer dichtet, liefert sich aus:
    ‚Er übt die Kunst, doch seine Hände zittern.‘ [Par. xxi, 46f.]“
    und Beatrice die strenge mutter, vor der dem kind Dante die stimme im mund erstirbt. soweit zur „mütterlichen vorsehung“. aber zu sagen, wie ich den text auf den von walhalladada hergestellten zusammenhang mit der psychoanalyse auf mich wieder zurückführen soll, hieße, ihn noch einmal zu schreiben, ohne zu wissen – hinterher – wie ich dahin gekommen! und dennoch ein bißchen zu lügen, wenn ich sage „ohne zu wissen“.

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