Zwei Töne (Ungaretti)

zwei töne (Due note)
1927

gräser beringend ein schmaler bach

eines sees düsternis himmels wasserbläue kränkt

Inanella erbe un rivolo,

Un lago torvo il cielo glauco offende.

Giuseppe Ungaretti

Schon vor Jahren nicht weitergekommen hiermit. Wegen „un“ „il“, kein Unterschied zwischen Nominativ und Akkusativ. Wer kränkt, beleidigt hier wen? Zweideutig, auch in der frühen Fassung: „dann traf er auf einen düsteren See, den/der – der/den blaugrüne(n) Himmel beleidigt bzw. kränkt“ – Poi incontrò un lago torvo / che il cielo glauco offende. Die einzige Möglichkeit, die Zweideutigkeit auch im Deutschen wiederzugeben, war das Femininum. Die Verlaufsform des Verbs [eine im nachhinein zurückgenommen] ergab sich mir aus der Situation des Beobachtens: es geschieht, was ich seh’. Den Titel suggeriert der ursprüngliche „Colore“. Aigner, den ich las, hat:
Zwei Merkmale
1927

Ein kleiner Bach beringt die Gräser,

den blaugrünen Himmel beleidigt ein düsterer See.

eher feststellend als beobachtend im Ton… in solchen Fällen ist jedes Bessermachen ein Andersmachen, ein Lesen. Ein Auchlesen.

p.s. Das ist es wohl: in einem alten Wörterbuch fand ich „wasserblau“ für „glauco“, und so kann wohl der Himmel den düstern See beleidigen.

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10 Antworten zu Zwei Töne (Ungaretti)

  1. sumuze sagt:

    Jetzt kränken sich jedoch Düsternis und Wasserbläue, wenn auch in der Tat zweideutig, was die Richtung angeht.

  2. ConAlma sagt:

    Seit zwei Tagen kreise ich um See und Himmel, las gleich und wieder die Kränkung als eine des Himmels am See

    und als ich zuvor mich zwischen Bächlein und See setzte,
    konnt ich fühlen, dass das gnadenlose Wasserblau den nicht anders könnenden lago torvo kränken muss

    • parallalie sagt:

      @sumuze + ConAlma
      danke!
      daß ich „see“ und „himmel“ nicht fallen lassen dürfe, wurde mir auch gesagt gestern, als ich erklärte, wie ich das problem „gelöst“ hätte, also entscheide ich mich zu dieser vorläufigkeit (wo ich des rhythmus wegen das „beleidigt“ einsetze):

      gräser beringend ein schmaler bach

      einen düsteren see der wasserblaue himmel beleidigt

      vielleicht komme ich ja irgendwann einmal darauf zurück, und dann wird’s wieder anders, dennoch glaube ich nicht, daß ein wasserblauer see einen düsteren himmel beleidigt. denn dann sind wohl beide düster. auch ein melancholiker fühlt sich beleidigt vom anblick heiterer menschen. und die heiteren menschen machen sich eher lustig über ihn.

  3. variante von heute, dem 22.4.18:

    gräser beringend ein schmaler bach
    ein düstersee befehdet himmels wasserblau

  4. Pingback: III, 406 – Zichten | Die Dschungel. Anderswelt.

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